Zum kaligraphischen Kunstobjekt der Konfirmanden
In der jüdischen – christlichen Kultur gibt es eine Grundentscheidung, die in gewisser Weise dann auch von der griechischen Philosophie und ganz besonders vom Islam ernst genommen wurde. Gott lässt sich nicht durch bildliche Vorstellung erfahren, sondern ausschließlich durch das Wort. Die Geschichte vom goldenen Kalb erzählt von diesem Konflikt: Israel stellt sich den Gott, der das Volk mit starkem Arm aus der Knechtschaft Ägypten herausgeholt hat, natürlich so vor, wie man damals einen starken Rettergott dargestellt hat. Seine Macht assoziiert die eines Stiers. Der Gottesdienst ist dann der ekstatische Tanz um das Götzenbild. So machte man das eben. Mose dagegen bringt vom Berg Sinai die Gebotstafel. Wir wissen, wie diese Geschichte ausgeht. Gott erfahren wir, wenn wir seine Gebote lieben, sein Wort verinnerlichen und in seinen Weisungen leben. Die Christen haben dieses religiöse Lebensgefühl in ganz ähnlicher Weise aufgenommen. Sie verstanden die Nachfolge Jesu als Erfüllung der Weisungen und Worte, denn Christus ist nach Paulus die Vollendung des Gebots. Gotteserfahrung hat immer mit Lebensführung zu tun.
Deshalb ist es unerlässlich für einen gelingenden Glauben, dass man sich um Texte bemüht, die im Leben weiterhelfen oder das Leben deuten. Doch wie kann die Deutung und Hilfe aussehen? Oft verzweifeln wir am Glauben, weil unsere Vorstellung von Gott mit dem, wie wir unsere Welt erfahren, nicht zusammenpassen will. Gott und unsere Wünsche gehen weit auseinander. Die Frage ist alt und der aktuelle Anlass erinnert an einen Roman des aufklärerischen Philosophen Voltaire. Das Erdbeben von Lissabon im 18. Jahrhundert, das damals die ganze Stadt dem Erdboden gleich gemacht hat, war für Voltaire in seinem Roman „Candide“ Anlass, den optimistischen Glauben an eine Herstellung einer perfekten Welt durch die menschliche Vernunft zu hinterfragen. Um aber nicht einer völlig skeptischen Lebenshaltung zu verfallen, nennt er die Möglichkeit, in dem man in ländlicher Abgeschiedenheit seinen Garten bestellt. Dieser Gedanken erinnert an das Schönbusch-Dörfchen. Diese Konsequenz widerspricht aber dem christlichen Lebensgefühl, das sich um eine gelungene Lebensführung bemüht und diese in einer Gewissheit darüber hinaus begründet.
In unserem kaligraphischen Objekt haben wir diese Erfahrung formuliert. Wir sind darauf angewiesen, Sätze zu wissen und zu hören, die unser Leben den Stand von Selbstgewissheit bringen. Wir fanden sie in den Psalmen und im zweiten Teil des Jesajabuchs aber auch bei Paulus und in den Evangelien. Jede Konfirmandin und Konfirmand wird von anderen Sätzen angesprochen. Nach einem bestimmten Prinzip sollte jeder seine Plexiglasscheibe so gestalten, dass eine Art „Wortgitter“ entsteht, die dann nach dem Zufallsprinzip zu einem Objekt zusammengefügt wurden. So entsteht dann der Effekt, dass man durch die verschiedenen Schrift-Scheiben blicken kann und für uns lediglich ein Buchstabenchaos sichtbar wird. Aber in diesem von Außen nicht mehr sofort erkennbaren Buchstabensalat wird deutlich, dass sich hinter den unterschiedlichen Ausdrucksweisen der persönlichen Hoffnungen eine Gewissheit findet: Selbst, wenn viele Ereignisse im Leben unverständlich bleiben, es gibt jemanden, der zu mir stehen will.
Markus Geißendörfer